Praktikumsberichte

Der Warschauer Kulturpalast

Bericht über das Praktikum bei der Warschauer Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ / „Polsko-Niemieckie Pojednanie“ (30.08.–01.10.2010) von Jenny Dittberner

Die Büroräume der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ sind im „Schatzministerium“ (Ministerstwo Skarbu Państwa) untergebracht, einem stalinistisch-schlichtem Sandsteingebäude in der ulica Krucza. Diese Straße liegt im Stadtteil Śródmieście, also direkt im Herzen Warschaus, sie verläuft parallel zur Marszałkowska und kreuzt nördlich die Aleje Jerozolimskie. Wendet man sich von dieser Kreuzung aus nach links, sind es nur ein paar Minuten Fußweg zum Kulturpalast. Geht man hingegen nach rechts, trifft man in fünf Minuten auf das Rondo De Gaulle’a (mit seiner markanten künstlichen Palme in der Mitte). Überquert man das Rondo, hat man sogleich das Muzeum Narodowe zu seiner rechten. Biegt man hingegen vom Rondo aus links in die Straße Nowy Świat ab, lässt es sich gemütlich, immer geradeaus, bis in die Altstadt schlendern (und wenn man unterwegs eine der zahlreichen Buchhandlungen besucht, kann es einem – wie mir – sogar passieren, dass man auf zwei Greifswalder Slawistik-Dozenten trifft). Der Weg Richtung Altstadt führt an der Universität vorbei sowie am Präsidentenpalast, wo während meines Warschau-Aufenthaltes ein großes Holzkreuz aufgestellt war – als Zeichen der Trauer, denn fünf Monate zuvor waren der polnische Präsident Lech Ka¬czyński sowie 95 weitere Personen beim Flugzeugabsturz von Smolensk ums Leben gekommen. Die Warschauer nun zeigten große Anteilnahme an dem Unglück, indem sie die Absperrung vor dem Kreuz mit weiß-roten Flaggen schmückten, mit Blumen, Brotlaiben, Totenlichtern, Zeitungsartikeln und mit Portraits der Verstorbenen. In Polen gab es damals heiße Diskussionen darüber, ob das Kreuz mittlerweile – nach fünf Monaten – nicht lang genug vor dem Palast gestanden habe: Die Gegenpartei hingegen schlug vor, das Kreuz als „ewiges“ Denkmal dort zu belassen. Und auch über den Sinn dieser Diskussionen an und für sich gab es wiederum heiße Diskussionen: Z. B. warf man den „Pro-Kreuzlern“ vor, nur von den wirklich wichtigen politischen Entscheidungen ablenken zu wollen, indem sie das Kreuz zum Mittelpunkt der Tagespresse avancieren ließen. Für mich war es sehr spannend, einerseits diese Debatten zu verfolgen, und andererseits selber das Kreuz sehen zu können – vor allem die Menschen, die dort aufrichtig trauerten. Doch eines Tages, ich ging gerade die Straße Krakowskie Przedmieście entlang, stand Poniatowski wieder allein auf seinem Denkmal vor dem Präsidentenpalast: All der Totenschmuck und das Kreuz waren verschwunden (wie ich später in der Zeitung las, wurde das Kreuz in die Kapelle des Präsidentenpalasts gebracht).

Kurzum: Nirgendwo hätte man sich mehr am Puls der Zeit und am Puls des Landes fühlen können, als in Warschau. Was ich in der Zeitung las, konnte ich oft mit eigenen Augen in der Stadt sehen – dafür reichte schon ein kleiner Spaziergang während der Mittagspause. Aber auch mit nicht-tagesaktuellen Themen wurde ich, dank der Arbeit in der Stiftung, konfrontiert: Dass z. B. die Nationalsozialisten derart umfangreich und systematisch polnische Bürger zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert hatten, war mir vorher überhaupt nicht bewusst gewesen. Auch hatte ich in der Stiftung darum gebeten, ob man für meine Mutter, die im Museum meiner Heimatstadt Schwedt arbeitet, eine Liste erstellen könnte, die alle in Schwedt eingesetzten polnischen Zwangsarbeiter verzeichnet. Da ich noch nie davon gehört hatte, dass man während des Zweiten Weltkriegs „bei uns“ Zwangsarbeiter beschäftigt hatte, war ich recht erschüttert, als die mir ausgehändigte Liste 82 Namen umfasste (82 allein in einem so kleinen unbedeutenden Ort, und diese 82 sind ja nur die polnischen Zwangsarbeiter, sind ja nur die polnischen Zwangsarbeiter, die nach 2001 noch gelebt haben und bei der Stiftung einen Antrag auf finanzielle Unterstützung gestellt haben!).

Zu sagen, dass die Arbeit in der Stiftung interessant gewesen ist, wäre somit eine ausgesprochene Untertreibung. Neben meiner Beschäftigung mit der deutsch-polnischen Geschichte habe ich „Sütterlin“ lesen geübt, mich mit Indesign bekannt gemacht, die DIN-Zeichen für Textkorrekturen gelernt und vor allen Dingen natürlich meine Polnischkenntnisse vertieft, in dem ich für die Stiftung Texte übersetzt und mich mit den Mitarbeitern unterhalten bzw. es zumindest versucht habe (von den etwa 30 Angestellten der Stiftung sprechen nur vier deutsch). Zu alledem kam noch hinzu, dass die Mitarbeiter eine wirklich beeindruckende Herzlichkeit und Geduld besaßen, die sie allen Kollegen, Praktikanten und Besuchern gegenüber an den Tag legten.

Mir bleibt somit nichts anderes übrig, als meinen Bericht mit der Feststellung zu schließen, dass es nichts zu bemängeln gab, dass das Praktikum ein großer Erfolg war und dass ich jederzeit gerne wieder in der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ arbeiten würde.

Archiv der Stiftung

Nachtrag: Tipps zum Wohnen und Leben in Warschau

Ich habe rund einen Monat gebraucht, bis ich von Zuhause aus per Internet ein günstiges Zimmer (20 PLN pro Nacht) in Warschau ergattert hatte: Und die Warschauer selbst meinten, da habe ich ja wirklich Glück gehabt, so schnell eine Unterkunft gefunden zu haben. Der Wohnungsmarkt ist also eng, man muss sich rechtzeitig umsehen. Die Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ hat manchmal auch WG-Zimmer zu vermieten: Dort frühzeitig anzufragen, kann sicher nicht schaden.

Warschau selbst kam mir die ersten Tage sehr „fremdenfeindlich“ vor: In dem Sinne, dass einem nirgendwo erklärt wird, wie die Stadt eigentlich „funktioniert“. Von welcher der vielen Busstationen am Hauptbahnhof fährt meine Linie? Woher bekomme ich ein Ticket? Und für welche Tarifzone? Wo bin ich? Wo geht’s lang? – Das alles muss man selber rausfinden. Beschilderung ist rar und wenn meist nur auf Polnisch (was mich in einer Hauptstadt wirklich sehr gewundert hat). Am besten wäre sicher, wenn man einen Bekannten vor Ort hat, der einem alles zeigt und erklärt. Aber auch „auf die harte Tour“ findet man sich recht schnell zurecht: Nach ein, zwei Wochen ist man schon ein rechter „Insider“, man weiß, welche Tram man nehmen muss, und steigt nicht mehr in den Bus, der in die falsche Richtung fährt. Doch um ein solcher „Insider“ zu werden, braucht man mindestens ein solides Grundlagen-Polnisch: In so einer großen Stadt passiert einfach zu viel, als dass man sich auf Regelmäßigkeiten verlassen könnte. Beispielsweise fuhr meine Tram eines Tages nicht mehr die gewohnte Strecke: Sie wurde wegen Bauarbeiten an der neuen Metrolinie umgeleitet. Das hatte ich in der Zeitung gelesen. Zum Glück. Denn in der Tram selbst wurde das nicht an die große Glocke gehängt, dass nun zahlreiche Stationen nicht mehr angefahren wurden: In der Tram hing ein winziger Zettel, auf dem die veränderten Haltestellen standen, den man jedoch nie lesen konnte, da es unmöglich war, sich durch das morgendliche Menschengedränge in der Tram bis zu diesem Zettel vorzuarbeiten. – Im Umkehrschluss heißt das natürlich, dass, wer in dieser Stadt „überleben“ will, sehr viel Zeitung lesen, sich jedes unbekannte Wort übersetzen und notfalls die Passanten fragen muss. Also: Polnisch intensiv.