Russische und polnische Herkunftssprache als Ressource im Schulunterricht?

Eine Bestandsaufnahme zur Rolle des familiären und schulischen Kontexts für die Nutzung von Herkunftssprachen durch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund


Förderung:

Das Verbundprojekt ist Teil der Förderinitiative „Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) der Bundesrepublik Deutschland. Es wird in Kooperation mit Prof. Dr. Grit Mehlhorn von der Universität Leipzig durchgeführt.

Projektlaufzeit:

Oktober 2013 – September 2016

Projektbeschreibung:

Gegenstand des Projekts ist die Frage, in welchem Maße SchülerInnen mit russisch- oder polnischsprachigem Migrationshintergrund ihre vorhandenen sprachlichen Potenziale in den Unterricht einbringen können und wie stark sie selbst, aber auch ihr privates und schulisches Umfeld sich dieser Potenziale bewusst sind. Insbesondere wird dabei untersucht, welchen Effekt der Besuch eines herkunfts- und/oder fremdsprachlichen Unterrichts in Russisch/ Polnisch auf das Wissen um diese Potenziale und auf ihre Nutzung hat, und wie er die sprachliche Entwicklung der bilingualen SchülerInnen beeinflusst.

Als Voraussetzung für die Beantwortung dieser Fragen ist zunächst zu klären, welche sprachlichen Kompetenzen in Herkunftssprache und Umgebungssprache vorhanden sind und wie sich diese über einen längeren Zeitraum hinweg entwickeln. Daher sollen im Greifswalder Teilprojekt ausgewählte SchülerInnen sowohl hinsichtlich ihrer Verfügung über sprachliche Mittel aller Sprachebenen (Aussprache und Intonation, Orthographie, Grammatik, Wortschatz), ihrer Kenntnis verschiedener Register (Alltagssprache, Bildungssprache) und ihrer kommunikativen Kompetenzen (Hörverstehen, Sprechen, Leseverstehen, Schreiben und Sprachmittlung) in der Herkunftssprache und im Deutschen untersucht werden. Die holistische Erfassung des Sprachstandes in den beiden Sprachen erfolgt über ein großes Repertoire an Erhebungsinstrumenten, die z.T. schon mit Erfolg in der Sprachstandsdiagnostik eingesetzt werden, aber meistens nur in Bezug auf einzelne Kompetenzen. Die Ergebnisse sollen es ermöglichen, ein umfassendes Sprachenprofil der SchülerInnen zu erstellen, das Auskunft über gruppentypische, aber auch individuelle Ausprägungen gibt. Zudem soll durch eine Wiederholung der Sprachstandsmessungen nach einem Jahr Aufschluss über die longitudinale Entwicklung der multilingualen Fähigkeiten der Lernenden erlangt werden.

Um dem komplexen Zusammenspiel der involvierten Faktoren im Rahmen eines holistischen Zugangs zur Mehrsprachigkeit Rechnung tragen zu können, planen wir eine detaillierte Fallanalyse zu 40 SchülerInnen (6./7. Klasse) mit russischer und polnischer Herkunftssprache, die zu Beginn der Untersuchung den Unterricht in einer zweiten Fremdsprache (nach Englisch) aufnehmen und so möglicherweise für Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen besonders sensibilisiert werden. Die Hälfte des Samples soll dabei Erfahrungen mit herkunftssprachlichem Unterricht bzw. Fremdsprachenunterricht im Russischen/ Polnischen haben oder gerade sammeln. Alle SchülerInnen sollen jedoch bereits in Deutschland geboren oder zumindest im Vorschulalter nach Deutschland gekommen sein. Die Datenerhebung erfolgt über Schulen an zwei Standorten: den Großstädten Hamburg und Leipzig.

Im Sinne eines dynamisch angelegten Modells des Multilingualismus soll aber nicht nur auf die faktische sprachliche Entwicklung der Fokuspersonen geschaut werden, sondern auch erhoben werden, von welchen personenbezogenen und sozialen Merkmalen diese Entwicklung beeinflusst wird. Als besonders einschlägig wird hier die Rolle des familiären Umfeldes der SchülerInnen, d.h. die von dort mitgegebenen Spracheinstellungen und die in der Familie verfolgten Spracherziehungsziele, sowie des schulischen Umfeldes (z.B. Umgang der Lehrenden mit der Mehrsprachigkeit der SchülerInnen, Möglichkeiten des Besuchs von herkunftssprachlichem Unterricht oder Fremdsprachenunterricht in der slawischen Erstsprache) angesetzt. Daher wird im Leipziger Teilprojekt versucht, durch qualitative Interviews mit allen Akteuren der Frage nachzugehen, wie sehr die Mehrsprachigkeit der SchülerInnen als Mehrwert aufgefasst wird und wo es unter Umständen konkrete Ansatzpunkte gibt, diesen Mehrwert systematisch zu nutzen (z.B. im Sprachunterricht). Das Projekt versteht sich daher auch als Beitrag zur Stärkung der Mehrsprachigkeitsdidaktik, v.a., aber nicht ausschließlich im schulischen und herkunftssprachlichen Unterricht. Zudem möchte es Eltern mehrsprachiger Kinder Möglichkeiten aufzeigen, wie diese mit eigenen Entscheidungen zur positiven Nutzung der mehrsprachigen Potenziale ihrer Kinder beitragen können.

Projektrelevante Publikationen:

Brehmer, Bernhard (eingereicht): Herkunftssprachen als Ressource im Sprachunterricht? Eine Fallstudie zum Tertiärspracherwerb des Russischen. In: Amorocho, S., Borgwaldt, S. (Hrsg.): Unvollständiger Erstspracherwerb: Heritage Sprecher im In- und Ausland. Berlin, New York: de Gruyter.

Projektmitarbeiter in Greifswald

Tatjana Kurbangulova (wiss. Mitarbeiterin, Schwerpunkt: Russische Herkunftssprecher)
Martin Winski (wiss. Mitarbeiter, Schwerpunkt: Polnische Herkunftssprecher)