Staraja Russa 2019

Greifswalder Studierende auf den Spuren der alten Slawen. Archäologische Ausgrabungen in Staraja Russa im Sommer 2019.

Im Sommer 2019 begaben sich Studierende der Slawistik und des Historischen Instituts unter der Leitung von Bernhard Brehmer und Ute Marggraff auf eine Exkursion nach Staraja Russa.

Eine Woche lang zählten sie zu dem erfahrenen Grabungsteam um Kiril Samojlov und Elena Toporova von der Universität Jaroslav des Weisen aus Novgorod, das schon mehrere Jahre lang auf dem Pjatnickij Raskopok nach Zeugnissen der Vergangenheit sucht. Praxisnah werden hier an der Mineral’naj ulica wissenschaftliche Fragestellungen verfolgt, die auch in die Betreuung von Studierenden aus dem ganzen Land einfließen.        

In der siebenten Kulturschicht wurden nun auch die Studierenden der Greifswalder Universität fündig. Bereits am ersten Tag entdeckten sie einen kunstvoll verzierten Kamm sowie bunte Glasperlen. Holzspielzeug, Leder von Stiefeln aus vormongolischer Zeit sowie ein aus Westeuropa stammender geflochtener Gürtel, kamen im Laufe der Woche dazu.

Während man bei Ausgrabungen in Mitteleuropa nie sicher sein kann, ob man etwas findet, stießen sie in Staraja Russa jeden Tag auf archäologische Funde. Die Erde in dieser Gegend ist morastig. Der Wasserspiegel relativ hoch. Von Mineralien durchsetzt, bewahrt der Boden Überreste vergangener Jahrhunderte besonders gut. Erst wenn diese an die Luft gelangen, zerfallen sie.   

Auch wenn die günstige Fundsituation keine Zweifel ließ, dass sich etwas finden würde, gestaltete sich die individuelle Suche auf den ca. 5 qm großen abgeteilten Grabungsplätzen, sogenannten Gruben, spannend wie ein Kriminalroman. Was hatten die Bewohner in alter Zeit an dieser Stelle weggeworfen oder vielleicht auch der Erde anvertraut? Würde sich eine der ersehnten Birkenrindenurkunden finden, von denen T. Kurbangulova den Studierenden in einem ihrer Seminare erzählt hatte. Um nichts zu übersehen, wurde das Erdreich zunächst mit kleinen Spezialspaten und später mit Kellen insbesondere dann besonders vorsichtig abgetragen, wenn sich Erdverfärbungen als untrügerisches Zeichen ausmachen ließen. An manchen Stellen fanden sich neben ehemaligen Häuserpfosten besonders viele Lederreste oder Späne, als habe sie der Wind dorthin geweht. Pfeilspitzen, Keramikscherben und teilweise sehr gut erhaltene Gefäße, aber auch Kinderspielzeug und einfache Musikinstrumente wurden nach und nach zu den Tischen gebracht, auf denen besonders Wertvolles kartiert und registriert wurde. Nüsse und undefinierbare Metallstücke kamen in eine der grünen oder blauen Fundkisten, denen sich die Archäologen zu einem späteren Zeitpunkt am Ende des Tages widmeten. Ihren festen Standort haben sie am ehemaligen Polytechnikum der Stadt, einer ausgedienten Schule aus roten Ziegelsteinen. Dort werden die Funde erneut gesichtet, in Wasserbehältern aufbewahrt und konserviert, damit sie bei Kontakt mit der Luft nicht zerfallen.

Besondere Rätsel gaben allerdings am Pjatnickij Raskopok seltsam angeordnete Birkenstämme auf, die wegen ihrer Größe nicht ins Museum gelangten. Ob es sich vielleicht um eine slawische Kultstätte handelte? Das wäre so recht nach dem Geschmack der Greifswalder gewesen. Doch um das Geheimnis zu lüften, reichen die derzeitigen Kenntnisse und Fakten nicht aus.

Das feste Grabungsteam der Wissenschaftler von der Universität Jarosav der Weise aus Novgorod wird jeden Sommer bis Ende August um Studierenden der Universität bereichert. In diesem Jahr arbeiteten sie u.a. zusammen mit freiwillig angeheuerten Grabungshelfern und den Studierenden und Lehrenden aus Greifswald.  Gemeinsam ringen sie der Erde nach und nach viele Stücke ab. So erhalten sie wichtige Auskünfte über die Siedlungsgeschichte und Mobilität von Menschen und Waren in diesem für die altslawische Geschichte bedeutenden Gebiet.  

Leider warteten die Greifswalder Studierenden vergeblich auf den Fund einer der begehrten Birkenrindeninschriften. Sie konnten lediglich im Museum des Moskauer Kreml in Augenschein genommen werden, das einige Studierende auf dem Rückweg über Petersburg nach besuchten. In der Grabungsstätte vor dem Museum gleich neben der berühmten Sophienkathedrale zeigten ihnen die Archäologen wertvolle Kacheln. Erst ein paar Tage später berichtete das russländische Fernsehen vom Fund einer weiteren Birkenrindenurkunde an eben diesem Standort.

Doch da waren die meisten schon wieder in Berlin gelandet und Richtung Ryck unterwegs. Vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr. Dann soll auch auf dem Territorium des einstigen Sanatoriums direkt gegenüber gegraben werden. Hier ist mit Material aus dem Zweiten Weltkrieg zu rechnen, das ältere Schichten überdeckt… 

Ute Marggraff